Tiktok bekämpft US-Verbot vor Gericht

Ein neues US-Gesetz verbietet Tiktok. Eigentümer Bytedance will das Gesetz vom zuständigen Gericht für verfassungswidrig erklären lassen.​

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TikTok-Logo auf einem Smartphone, in dem sich die US-Flagge spiegelt.

(Bild: Camilo Concha/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
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"Die Fakten und die Verfassung sind auf unserer Seite und wir gehen davon aus, dass wir uns erneut durchsetzen werden." Mit diesen Worten hat der singapurische Tiktok-Chef Shou Zi Chew Ende April auf das neue Gesetz reagiert, mit dem Tiktok in den USA mit Wirkung Anfang 2025 verboten wird. Nun liegt die Klage des chinesischen Unternehmens vor. Sie verweist auf gleich vier Verfassungsbestimmungen, gegen die das Gesetz verstoße.

Offiziell heißt das Gesetz Protecting Americans from Foreign Adversary Controlled Applications Act. Es verbietet Hostingdienste sowie Verbreitung und Updates für "von ausländischen Gegnern kontrollierte Anwendungen". Selbst die Verbreitung einschlägiger Sourcecodes wird verboten. Die Strafen belaufen sich auf bis zu 5.500 US-Dollar pro User.

Allerdings sieht das Gesetz zwei Klassen betroffener Betreiber vor: Einerseits werden namentlich die auf den Kaimaninseln ansässige Holding Bytedance Ltd und deren App Tiktok genannt, andererseits kann der US-Präsident weitere Betreiberfirmen zu "ausländischen Gegner" erklären – das allerdings mit Ausnahmen, unter bestimmten Voraussetzungen, nur nach Vorankündigung und unter Vorlage eines öffentlichen Berichts, der die konkreten Gefahren für die Nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten von Amerika beschreibt.

Für Tiktok gab es kein solches Verfahren und es gibt keine Beschreibung behaupteter Gefahren für die Nationale Sicherheit. Entsprechend sieht Bytedance das Recht auf Gleichbehandlung verletzt. Gleichzeitig handle es sich um eine Verurteilung per Gesetz (Bill of Attainder), was die US-Verfassung ebenfalls ausdrücklich verbietet.

Wie bereits bei der erfolgreichen Klage gegen das vom damaligen US-Präsidenten Donald Trump per Präsidentenbefehl verhängte Tiktok-Verbot pocht Bytedance auch diesmal wieder auf den ersten Zusatzartikel der US-Verfassung. Dieser garantiert das Recht auf Freie Rede, und Tiktok ist eben eine Bühne für Äußerungen von Bürgern.

Hinzu kommt als viertes verfassungsrechtliches Argument, dass das Gesetz einer verfassungswidrigen Enteignung gleich komme. Laut früheren Entscheidungen des US Supreme Court greift dieses Verbot auch bei der Reduktion des Wertes bestehender Unternehmen durch staatliche Maßnahmen, nicht nur reine Verstaatlichung.

Theoretisch kennt das Gesetz einen Ausweg für Unternehmen, deren Anwendungen verboten werden: Sie sollen ihre Anwendungen binnen 270 Tagen verkaufen und sich auch sonst gänzlich davon trennen. Speziell auf Tiktok zugeschnitten ist die Bedingung, dass der frühere Eigentümer keine Daten mit dem verkauften Betrieb teilt und auch hinsichtlich des Algorithmus zur Empfehlung von Inhalten nicht kooperiert.

Dieser Algorithmus gilt als das geheime Erfolgsrezept Tiktoks. Die Volksrepublik China hat seinen Export bereits verboten, Bytedance kann ihn also gar nicht veräußern. Ohne Algorithmus ist Tiktok nur wenig wert. Dieser Restwert würde durch die gesetzlich verlangte Trennung der Inhalte in "amerikanische" und "sonstige" gegen null reduziert, zumal die amerikanischen User gerne ausländische Kurzvideos konsumieren.

Überhaupt, meint Bytedance, sei der Verkauf in der vorgesehenen Frist von 270 Tagen unmöglich. Niemand könne den umfangreichen Sourcecode übernehmen und ohne die chinesischen Entwickler verstehen und nutzen. Damit sei der Verkauf nicht nur rechtlich und wirtschaftlich unmöglich, sondern auch technisch.

Das chinesische Unternehmen beantragt, das Gesetz für verfassungswidrig zu erklären und dem zuständigen Minister zu untersagen, das Gesetz durchzusetzen. Eingebracht hat Bytedance die Klage am US-Bundesberufungsgericht für den Hauptstadtbezirk District of Columbia.

Das wirkt ungewöhnlich, da sich Bundesberufungsgerichte in der Regel mit Rechtsmitteln gegen Entscheidungen von Bundesbezirksgerichten befassen. Doch enthält das angefochtene Gesetz eine Sonderbestimmung, wonach Klagen gegen das Gesetz ausschließlich bei diesem Bundesberufungsgericht einzubringen sind. Das bedeutet aber nicht nur, dass eben ein anderes Gericht zuständig ist, sondern dass es auch keine ordentlichen Rechtsmittel gegen die Entscheidung dieses Bundesberufungsgerichts gibt.

Sollte Bytedance verlieren, kann es nicht berufen. Zwar darf es eine neuerliche Anhörung vor einer erweiterten Richterbank des selben Gerichts und/oder ein Verfahren vor dem US Supreme Court begehren, hat darauf aber keinen Rechtsanspruch. Tatsächlich werden solche Anbringen nur zu einem geringen Prozentsatz genehmigt.

Der Protecting Americans from Foreign Adversary Controlled Applications Act enthält noch einen weiteren Sprengsatz: Es erlaubt Anfechtungen gegen das Gesetz nur für 165 Tage, gerechnet seit der Unterzeichnung durch US-Präsident Joe Biden Ende April. Das bedeutet, dass Bytedance auch für etwaig zukünftig betroffene Unternehmen kämpft, die heute noch gar nicht wissen können, dass sie eines Tages vielleicht nach diesem US-Gesetz verboten werden sollen.

Das Verfahren heißt Tiktok et Bytedance v Merrick B. Garland und ist am US-Bundesberufungsgericht für den Hauptstadtbezirk District of Columbia unter dem Az. 24-1113 anhängig. Bis 6. respektive 21. Juni haben die Kläger sowie der beklagte Justizminister Zeit, erforderliche Dokumente einzureichen und bestimmte Anträge zu stellen.

(ds)