Neue Regierung in Brasilien: Ein Lichtblick für den Amazonas-Regenwald?

Mit dem neuen Präsidenten keimt auch neue Hoffnung für den Amazonas-Regenwald auf. Um dessen Kipppunkt zu vermeiden, müssen Industriestaaten aber auch mehr tun.

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(Bild: Quick Shot / shutterstock.com)

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Von
  • Hanns-J. Neubert
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Vielleicht lässt sich der Amazonas-Regenwald jetzt doch noch retten. Der neue Präsident Brasiliens, Luiz Inacio Lula da Silva, hat sich nämlich zu einem Hoffnungsträger für den Urwaldschutz gemausert. Auf der Klimakonferenz im November 2022 in Sharm el Sheikh versprach er, die Abholzung im brasilianischen Urwaldgebiet bis zum Ende dieses Jahrzehnts endgültig zu beenden. "Es gibt keine Klimasicherheit für die Welt ohne einen geschützten Amazonas. Wir werden alles tun, was nötig ist, um die Abholzung und Degradierung unserer Ökosysteme bis 2030 zu beenden", sagte er damals.

Dass es ihm diesmal wirklich Ernst ist, unterstrich Lula durch die erneute Berufung von Marina Silva zur Umweltministerin. Sie ist Brasiliens bekannteste Umweltaktivistin und kompromissloseste Kämpferin für den Schutz des Amazonas-Regenwaldes.

Bereits 2003 gehörte sie zu Lulas Kabinett, als er zum ersten Mal die Präsidentschaft errang. Dank ihres Einsatzes ging die Entwaldung des Regenwaldes damals um 70 Prozent zurück.

Doch im Laufe der Zeit konzentrierte sich Lula immer stärker auf die Interessen der Agrarindustrie und die Mega-Bauprojekte im Amazonasgebiet, etwa die beiden Riesenstaudämme am Rio Madeira, das umstrittene Wasserkraftwerk Belo Monte am Rio Xingu und die Teilumleitung des Rio Sao Francisco. Silva trat deswegen 2008 zurück.

In den vier Jahren der Regierung des rechten Präsidenten Jair Bolsonaro rückte ihr ursprünglich formuliertes Ziel, die Abholzung des Regenwaldes bis 2020 um 80 Prozent zu reduzieren, in weite Ferne. Zwischen 2019 und 2022 schrumpfte der Wald um 45.586 Quadratkilometer, eine Fläche fast so groß wie Niedersachsen.

Mit seinem neuerlichen Bekenntnis zu Wald- und Klimaschutz nahm Lula erneut die reichen Länder in die Pflicht. Sie müssten mehr finanzielle Unterstützung bereitstellen, um Entwicklungsländern wie Brasilien zu helfen, stärkere Klimaschutzmaßnahmen zu ergreifen. "Wir brauchen mehr Mittel für ein Problem, das von den reichen Ländern geschaffen wurde, aber unverhältnismäßig stark von den Schwächsten wahrgenommen wird", sagte er.

Um das deutsche Engagement zum Amazonas-Waldschutz zu unterstreichen, reisten zur Amtseinführung Lulas am Neujahrstag 2023 Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Umweltministerin Steffi Lemke in die Hauptstadt Brasilia.

Das Gastgeschenk war die Freigabe von 35 Millionen Euro für den Amazonienfonds für Wald- und Klimaschutz, der unter der Regierung von Jair Bolsonaro eingefroren war. Damit erhöhte sich der deutsche Anteil an dem Fonds auf 90 Millionen Euro. Das ist nicht besonders viel, denn den Löwenanteil von umgerechnet mehr als 1,1 Milliarden Euro steuert Norwegen bei.

Nach dem Rücktritt von Marina Silva richtete Lulas erste Regierung 2008 diesen Fonds ein, der 1,3 Milliarden US-Dollar (rund 1,2 Milliarden Euro) für den Schutz des brasilianischen Amazonaswaldes bereitstellen sollte.

Geplant war, dass bis zu 20 Prozent davon in die Überwachung und Kontrolle der Entwaldung fließen. Vom Rest sollten Projekte zu nachhaltigen Produktionssystemen, zum Umweltmanagement in indigenen Schutzgebieten und zur wissenschaftlichen Erforschung profitieren. Als Bolsonaro den Regenwald zur ausschließlich wirtschaftlichen Ressource erklärte, froren die Geldgeber ihre Beiträge ein.

Die wissenschaftliche Erforschung des Regenwaldes lief dennoch auf Sparflamme weiter. Davon machten sich Steinmeier und Lemke an der 325 Meter hohen Forschungsstation Amazonas-Turm-Observatorium ATTO ein Bild. Sie liegt 150 Kilometer Luftlinie nordöstlich von Manaus in einem unberührten Teil des Amazonasbeckens, wo brasilianische und deutsche Wissenschaftler den Wechselwirkungen zwischen Regenwald und Klima gemeinsam im Detail nachgehen.

Deren Analysen werden nämlich dringend gebraucht. Denn in einer Studie zeigten Forscher der Universität Exeter und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) im vergangenen Jahr, dass sich das südamerikanische Urwaldbecken ziemlich schnell einem der gefürchteten Klima-Kipppunkte nähert. Die Widerstandskraft des Amazonaswaldes hat demnach seit den frühen 2000er-Jahren auf drei Vierteln der Amazonas-Regenwaldfläche nachgelassen. Nach Störungen, also nach feuchteren oder trockenen Wetterperioden, erholt sich der Wald hier nur noch äußerst langsam.

Auch seine Fähigkeit als Kohlenstoffsenke ging in den letzten 40 Jahren zurück. Während zweier starker Dürreperioden in den Jahren 2005 und 2010 wandelte sich der Wald vorübergehend sogar zu einer Kohlenstoffquelle, weil beim Zerfall vertrockneter Bäume mehr CO2 in die Atmosphäre gelangte, als die nachwachsenden Pflanzen aufnahmen.

Schätzungen zufolge könnte der Kipppunkt für das Amazonasbecken erreicht sein, wenn 20 bis 25 Prozent der Walddecke verloren sind. Riesige Savannen oder gar Wüsten wären die Folge.

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Doch selbst, wenn es jetzt unter Lulas Regierung wirklich gelänge, den Urwald im Amazonasbecken massiv zu schützen, ist die Gefahr des Umkippens nicht gebannt.

Eine neue Risikoanalyse unter Federführung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung kam nämlich zu dem Ergebnis, dass selbst ein nur vorübergehendes, kurzzeitiges Überschreiten der UN-Klimaziele das Kipprisiko für mehrere Elemente des Erdsystems um mehr als 70 Prozent erhöhen. Im Gegensatz zu anderen Kippelementen ist die kritische Temperaturschwelle des Amazonas-Regenwalds allerdings etwas höher. Hat der Kippprozess aber erst einmal begonnen, lässt er sich nur schwer stoppen.

"Um alle Kipprisiken wirksam zu verhindern, müsste der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf höchstens ein Grad begrenzt werden – derzeit sind wir bereits bei etwa 1,2 Grad", sagte Jonathan Donges, einer der Autoren.

Eine Überlebenschance hat der Amazonas-Regenwald also nur, wenn die Erderwärmung global jetzt so schnell wie möglich verhindert wird – und dabei sind die reichen Industriestaaten gefragt.

(jle)